WM-Krimi in New York und Kinofilm über Magnus Carlsen inspirieren Trostberger Schachclub

 

 

Trostberg. Sollten sich die beiden Großmeister bei der neunten Partie vergangene Nacht wieder eines ihrer epischen, sechs- bis siebenstündigen Marathon-Duelle geliefert haben, dann dürfte Fritz Huber heute leicht unausgeschlafen seinen Arbeitstag in seinem „Chiemgauer Naturkosthandel“ antreten. Wie ausgeklügelt und wohlüberlegt der norwegische Titelverteidiger Magnus Carlsen und sein russischer Herausforderer Sergej Karjakin seit zwei Wochen die Figuren bei der Schach-WM in New York übers Brett schieben, das verfolgt der 59-jährige Trostberger mit großem Interesse am Internet-Liveticker.

„Das ist ein faszinierendes Duell, politisch ähnlich aufgeladen, wie die früheren Klassiker Fischer gegen Spasski oder Karpow gegen Kasparow“, schwärmt Huber und öffnet, als ihn die Heimatzeitung am Dienstag nach dem überraschenden Karjakin-Sieg in Partie Nummer 8 interviewt, noch schnell eine SMS. „Jetzt hat der russische Geheimdienst wohl doch das Carlsen-Team angezapft“, spielt einer seiner SchachSpezln auf die Verschlüsselungsmaßnahmen an, die das norwegische Lagerim Vorfeld gegen mögliche russische Hackerangriffe zur Ausforschung diverser Eröffnungs-Varianten getroffen haben soll.

Die enorme mediale Aufmerksamkeit, die der Showdown der beiden 25 und 27 Jahre alten Wunderkinder bekommt, will Fritz Huber ebenso nutzen, wie den Kinostart von „Magnus–Der Mozart des Schach“, der fesselnden Doku über Carlsens kometenhaften Aufstieg an die Spitze der SchachWelt. Der amtierende Trostberger Schachmeister organisiert am Sonntag, 27. November, um 14 Uhr eine Sondervorstellung des „Magnus“-Films im Stadtkino und lädt anschließend zu einem Simultan-Turnier ein, bei dem er sich mit zehn Jugendlichen auf einmal misst.

„Beim Schach lernt man Planen und Organisieren, es kommt auf Geduld, eigenverantwortliches Handeln und Entscheidungsfreudigkeit an“, sagt Fritz Huber über sein großes Hobby, das einem wie kein anderer Sport die eigenen Stärken und Schwächen vor Augen führe.

Verfallen ist er dieser Leidenschaft, wie er sich erinnert, schon als 13- oder 14-Jähriger. „Im Haus eines Kumpels habe ich ein aufgebautes Schach-Brett gesehen. Strategische Spiele wie Dame oder Mühle haben wir zu Hause schon immer gespielt, aber die vielen verschiedenen Figuren haben mich gleich in den Bann gezogen.“ Seinen Freund, von dem er sich sofort die Regeln erklären ließ, hat Fritz Huber als Spielpartner recht schnell verloren. „Dem bin ich zu gut geworden.“ Kein Wunder, schließlich profitierte er von der Schachgruppe, die ein engagierter Lehrer an der Realschule ins Leben gerufen hatte. „Wir waren wirklich fanatisch im Freundeskreis, haben teilweise fast das ganze Wochenende 30 Stunden lang Schach gespielt.“

Fritz Huber fieberte auch mit, als 1972 das WM-Finale zwischen Boris Spassky und seinem Lieblingsspieler Bobby Fischer im Kalten Krieg zum Kampf der Systeme hochstilisiert wurde, und freut sich, dass der Schachsport nun wieder mit einem brisanten Duell aufhorchen lässt. „Karjakin als putintreuer Vertreter des Politestablishments und Carlsen als cooler, popstarartiker Freigeist.“

Huber hofft, dass der etwas schwächelnde Norweger „mit seinem attraktiven, intuitiven Stil und seinem unnachahmlichen Blick für die Schwächen des Gegners“ den Rückstand gegen den russischen Verteidigungskünstler noch aufholt. Die Spielweise von Magnus Carlsen, den Huber schon live bei einem Turnier in Zürich erlebt hat, ähnelt – „natürlich auf einem komplett anderen Niveau“ – auch der seinen. „Angriffslustig mit der Bereitschaft, auch mal ein paar Figuren zu opfern“, beschreibt es Huber schmunzelnd. „Es muss sich was rühren auf dem Brett.“

So wie bei derletzten Stadtmeisterschaft, als er alle sechs Partien gewann. Dass er als Oldie erstmals nach fast 40 Jahren wieder die Trostberger Schachkrone erobert hat, nimmt Fritz Huber nun zum Anlass, zusammen mit Abteilungsjugendleiter Klaus Herlt den Schachsport vor Ort verstärkt in die Köpfe derjüngeren Generation zu bringen. „In der Weltelite ist es ja ohnehin schon so, dass die Großmeister immer jünger werden, weil sie durch Computervernetzung und Apps viel leichter und schneller zu Spitzenspielern werden. Aber bei uns auf Vereinsebene ist die Altersstruktur schon noch ziemlich hoch.“

Huber will mit dem Klischee aufräumen, Schach sei „ein Sport für unproduktive Grübler“. In Deutschland tue man sich da schwer, weil es keinen absoluten Top-Spieler gibt, keinen wie Timo Boll im Tischtennis oder Jan Frodeno im Triathlon, die einer Randsportart zu einem Boom verhelfen – so wie eben Magnus Carlsen, der Norwegen in ein Land von Schachverrückten verwandelt hat.

Nicht einmal unter den ersten 50 der Weltrangliste ist Deutschland vertreten. Was zumindest aus heimischer Sicht nicht ganz zutrifft, denn wie Fritz Huber aus der bewegten Trostberger Schachgeschichte zu berichten weiß, hat kein Geringerer als der aktuelle Weltranglisten-25. Richard Rapport (21) schon für den TSV Trostberg Punkte eingefahren. „Der ist zwar Ungar, hat aber als elfjähriger Knirps, der ohne aufzustehen gar nicht richtig zu den Figuren kam, seine erwachsenen Gegner dü- piert“, erinnert sich Huber an den persönlichen Zögling des damaligen Trostberger Nummer-1-Legionärs Emil Anka. Für Furore sorgte die Trostberger Schachabteilung auch, als sie 1984 zur 120-Jahr-Feier des TSV den Weltmeisterschafts-Finalisten Viktor Kortschnoi für einen Simultanwettkampf zu Gast hatte, bei dem der russischstämmige Schweizer an 30 Brettern 27 Siege und drei Remis verbuchte.

Mit Aktionen wie dem Filmnachmittag und dem Simultanturnier sorgen die TSV-Denksportler nun wieder für frischen Wind. „Wir freuen uns über Neuzugänge bei unseren Trainingsabenden jeden Donnerstag im ,Pfaubräu‘“, sagt Fritz Huber, dessen Traum es wäre, „dass Schach in Deutschland wieder diese Kaffeehauskultur entwickelt, dass in Lokalen und Wirtshäusern nicht nur geschafkopft, sondern auch Schach gespielt wird und sich die Leute wie in schachbegeisterten Ländern in Osteuropa oder in Indien im Park oder wie in Budapest im Thermalwasser badend an den Brettern messen“.

 

Quelle: Passauer neue Presse: www.heimatzeitung.de